
Mit Psychotherapeutin Brigitte Mooshammer-Peter
Das Coronavirus und die damit verbundenen Maßnahmen haben uns fest im Griff. Seit über einem Jahr befinden wir uns jetzt schon in dieser extremen Ausnahmesituation. Diese Situation betrifft aktuell so ziemlich jeden, aber wen es ganz besonders trifft sind Familien und da vor allem die Kinder.
Was kann man tun, wenn der Familiensegen auf dem Spiel steht und vor allem, wie können wir unsere Kinder unterstützen, diese Zeit seelisch heil zu überstehen?
Darüber habe ich mit der renommierten Psychotherapeutin Brigitte Mooshammer-Peter gesprochen und sie um Tipps für ein funktionierendes und auch harmonisches Zusammenleben in dieser, mittlerweile sehr lange andauernden, schwierigen Situation gebeten:
Welche Herausforderungen, abseits der normalen Alltagsprobleme von Familien, siehst Du aktuell im Zusammenleben von Eltern und Kindern?
Um diese Frage beantworten zu können, müssen erst die unterschiedlichen Entwicklungsphasen bedacht werden.
Während Kinder bis zum etwa dritten Lebensjahr den engen Kontakt zu den wichtigsten Bezugspersonen meist sehr genießen, löst genau das bei vielen Eltern ein Gefühl der Überforderung aus. Kleinkinder 24 Stunden täglich zu betreuen, ist meist sehr anstrengend und oft ist derzeit aus bekannten Gründen eine Entlastung durch Großeltern, Babysitter, etc. nicht möglich.
Etwa ab dem vierten Lebensjahr erlangen Gleichaltrige für Kinder große Bedeutung. Erste enge Freundschaften werden nun geschlossen und nicht selten entwickeln Vier- bis Fünfjährige echte Liebesgefühle. Das Fehlen dieser Kontakte kann bei Kindern große Traurigkeit auslösen oder schlimmstenfalls sogar zu Entwicklungsverzögerungen führen.
Für Volksschüler*innen ist die Peergroup sehr bedeutsam. In kleinen Gruppen, gerne auch Banden, wird die geschlechtliche Identität gefestigt. Die Kinder beginnen eine Außenperspektive für sich einzunehmen und sich in der Gruppe zu behaupten. All das ist in Zeiten von Homeschooling nur sehr schwer möglich. Eltern wiederum finden sich in einem fast nicht zu schaffenden Spagat zwischen Homeoffice, online Meetings und der schulischen Betreuung ihrer Kinder. Diese Situation führt nicht selten zu Überlastung, Ungeduld, Aggressionen und schlimmstenfalls auch zu Depressionen.
Je älter die Kinder werden, desto bedeutender werden Freund*innen. Probleme werden zunehmend mit Gleichaltrigen besprochen und spätestens ab der Pubertät üben sich die Kinder und Jugendlichen in der Kunst der Verführung, wobei das erste Übungsumfeld meist die Schule ist. Als Alternative zur persönlichen Begegnung bleibt meist nur der Computer oder das Handy und wie wir alle wissen, ist das nur ein unzureichender Ersatz zu persönlicher Begegnung oder ersten körperlichen Annäherungen wie küssen und Petting.
Eine wichtige Aufgabe in der Pubertät ist es schließlich, eine eigene Identität zu entwickeln und sich von der Herkunftsfamilie loszulösen. Dieser Entwicklungsschritt geht oft mit sehr ambivalenten Gefühlen gegenüber den Eltern einher, was zu häufigen Konflikten und Auseinandersetzungen zwischen Eltern und Kindern führt, die durch die Nähe im Lockdown deutlich verstärkt werden.
Auf welche Dinge sollte man momentan besonders achten?
Wichtig ist es, auf ausreichende Freiräume zu achten. In den eigenen vier Wänden kann es dabei schon mal recht eng werden. Nach Möglichkeit sollte daher bei jedem Wetter ausreichend Gelegenheit zur Bewegung im Freien geboten werden.
Eltern oder andere wichtigste Bezugspersonen sollten sich in der Betreuung von Kindern abwechseln, sodass es für jede*n auch immer wieder Zeiten ohne Kinder gibt, in denen eigenen Interessen nachgegangen werden kann.
Wie erkläre/bespreche ich die aktuelle Situation am besten mit meinem Kind/meinen Kindern?
Egal was man Kindern erklärt, wichtig ist es immer eine einfache Sprache zu verwenden und keine Angst zu machen. Eine Möglichkeit ist es, den Kindern zu sagen, dass Viren sehr, sehr kleine Krankheitserreger sind, so klein, dass wir sie nicht sehen können. Besonders wichtig ist es aber auch zu erwähnen, dass und wie wir uns vor dem Virus schützen können. So kann jedes Kind selbst zur Held*in werden, die sich und andere vor dem Virus schützt.
Im Internet gibt es viel Hilfreiches zum Thema. Besonders gut gefällt mir die Broschüre „Per Anhalter durch die Coronavirus-Galaxis“ des Kindermuseums Zoom.
Wir hoffen ja, dass wir uns in nicht allzu langer Zeit wieder einem gewohnten Alltag nähern. Können wir dann einfach wieder dazu übergehen?
Wie die Welt nach Corona sein wird, kann heute wohl noch niemand mit Gewissheit sagen. Was im letzten Jahr unübersehbar deutlich wurde, ist die Tatsache, dass der Menschen soziale Wesen sind. Nichts hat die Stimmung der Meisten so sehr getrübt wie die Einschränkung der Sozialkontakte. Besonders Singles sind durch die Lockdowns sehr belastet und immer öfter kommen Personen zu mir in die Praxis, die unter Einsamkeit, Depressionen und/oder Schlafstörungen und Ängsten leiden. Diese Problematiken werden uns wohl auch nach dem Ende der Pandemie noch eine Zeit lang begleiten.
Wenn wir ca. hundert Jahre in die Vergangenheit sehen, hat die so genannte spanische Grippe in den 1920-er Jahren große Veränderungen nach sich gebracht egal ob in wirtschaftlicher, politische oder gesellschaftlicher Hinsicht. Wir können also gespannt sein, wie die Welt in zehn Jahren sein wird.
Wie siehst Du als Expertin die aktuelle Situation mit Home Office gleichzeitig mit Home Schooling bzw. Kinderbetreuung?
Wie schon erwähnt, finden sich Eltern derzeit in einer fast nicht bewältigbaren Mehrfachbelastung. Während sich das Kind mit schulischen Belangen an den Elternteil wendet, wird daneben selbst am Computer gearbeitet oder eine Videokonferenz abgehalten. Nicht selten führt diese Situation zu vermehrten Aggressionen und Spannungen in der Familie. Oft finden Eltern keinen anderen Ausweg als die Kinder, jedem pädagogischen Ansatz zuwider, vor den Fernseher oder Computer zu setzen um wenigstens für kurze Zeit in Ruhe arbeiten zu können.
Wie gehe ich mit psychischen Problemen / Anzeichen bei Kindern um? Welche Anzeichen gibt es? Was tue ich, wenn ich glaube mein Kind braucht hier Hilfe?
Was Kinder für ihr Wohlbefinden brauchen ist ein sicheres und geregeltes Umfeld. Oft ist das durch die Corona Krise erschüttert, nicht zuletzt wenn die Familie durch die Pandemie von Arbeitslosigkeit betroffen ist. Genauso kann aber auch das Fehlen sozialer Kontakte, dem schulischen Umfeld oder wichtiger Bezugspersonen, wie z.B. den Großeltern zu psychischen Problemen führen. Bei Kindern zeigen sich psychische Probleme durch mannigfaltige Symptome wie Schlafstörungen, Ängste, vermehrter Aggression, Antriebslosigkeit, Schulverweigerung, Ein-oder Bettnässen usw.
Je rascher diese Probleme behandelt werden, desto geringer sind die langfristigen Auswirkungen. Werden also Auffälligkeiten bei einem Kind bemerkt, sollte unverzüglich eine Beratungsstelle oder Kinderpsycholog*in aufgesucht werden. Oft kann schnelle Hilfe geleistet werden. Informationen und Adressen dazu sind im Internet leicht zu finden.
Brigitte Mooshammer-Peter arbeitet als personenzentrierte Psychotherapeutin und Sexualtherapeutin. Sie ist Mitglied des Instituts für personenzentrierte Studien AGP IPS, des Fort- und Weiterbildungsausschusses der österreichischen Gesellschaft für Sexualwissenschaften ÖGS, Vorstandsmitglied der österreichischen Gesellschaft für Sexualwissenschaften ÖGS, sowie Lehrbeauftrage an der ÖGS-Sexualakademie.
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